Schon wieder weit nach offiziellem Dienstschluss sprinte ich zu meinem Auto und versuche dieses möglichst schnell
durch den Berliner Berufsverkehr zu manövrieren. Ich versuche die vorwurfsvolle Stimme in meinem Kopf zu ignorieren,
die im beleidigten Tonfall meines Sohnes bemängelt, dass er bestimmt wiedermal eines der letzten Kinder in der Kita
sein wird. Verzweifelt stelle ich stattdessen, eine Einkaufsliste zusammen, wohlwissend, dass diese passé sein wird,
sobald ich den Einkaufswagen in der Hand habe.
Im Sturmschritt betrete ich die Kita. Ben fängt, sobald er mich erblickt, an zu schreien: Er wolle jetzt nicht los,
gerade sei er mitten im Spiel und überhaupt passiert immer alles so, wie ich es wolle!
Die Hitze im Gebäude, das laute Geschrei meines Sohnes, die innere Anspannung - das alles sorgt dafür, dass ich mich
fühle, als wäre ich im vollen Sprint gegen eine Mauer gerannt. Aber ich habe jetzt weder Zeit für Kopfschmerzen, noch
für brüllende Kinder. Wir müssen noch einkaufen und Ben muss pünktlich ins Bett, damit das Aufstehen morgen früh nicht
zwangsläufig zur Tortur wird.
Und natürlich - kaum hab ich den Einkaufswagen in der Hand, schon ist die interne Einkaufsliste verschwunden. Es ist
voll, laut und ich versuche mit möglichst wenigen Zusammenstößen und ohne Ben zu verlieren, den Einkaufswagen durch die
Regalreihen zu schieben. Selbstverständlich bleibt Ben bei den Süßigkeiten hängen. Er wolle noch dies und außerdem auch
das. Er hat jetzt Hunger und braucht unbedingt Schokolade, Lutscher, Bonbons, Gummibären - und zwar sofort und in dieser
Reihenfolge.Als sich die Tür des Kinderzimmers am Abend das letzte Mal schließt, schaltet mein Hirn sofort auf StandBy und mein
Körper agiert komplett selbständig. Eine Hand greift nach der Fernbedienung für den Fernseher, die andere nach der
Schachtel Pralienen. Meine Beine bringen mich zur Couch und mein Hintern macht es sich auf dieser bequem. Eine Praliene
nach der anderen wandert in meinen Mund und mein Hirn wird erst munter, als die Hand mehrere Male leer im Mund ankommt.
Erstaunt stelle ich fest, dass die Schachtel in der Tat leer ist. Ich muss auf der Verpackung nachschauen, um
festzustellen, welche Sorte ich in mich reingestopft habe. Nicht eine der Pralienen habe ich genossen, aber alle landen
auf meiner Hüfte. Mein Blick wandert auf meinen dicken Bauch, der sich seinen Weg unter dem T-Shirt hervor gebahnt hat,
mich angrinst und nach Mehr verlangt.
Ich bin entsetzt. Ist das wirklich mein Leben? War das schon alles? Zu dick auf der Couch sitzen, essen ohne es wahrzunehmen
und eine dröge Abendserie schauen, bis ich müde ins Bett falle, damit der Wahnsinn am nächsten Morgen von vorn losgeht?
Ich koche mir einen Tee, setze mich ans Fenster, schau in die Dunkelheit und lasse einige Minuten die Gedanken kreisen.
Der Frust kommt hoch, die Trauer über das Leben, das ich so nicht will.
Mir fällt der Wahnsinn auf: erst mach ich nach dem Büro Stress, weil ich ein schlechtes Gewissen habe, dass Ben einer
der letzten sein wird, um mich dann von meinem Sohn beschimpfen lassen zu müssen, dass ich jetzt schon auf die Idee komme,
ihn mit nach Hause nehmen zu wollen.
Der Stress im Supermarkt! Jedesmal das Gleiche! Und mir scheint, dass es bei den Vorzeichen auch gar nicht anders geht. Natürlich ist es voll - ist es um diese Zeit immer. Dann die Schlepperei ...
Was kann ich ändern?
Wir bräuchten mehr Zeit. Wir müssten weniger oder besser gar nicht einkaufen gehen. - Es sind nur diese zwei Sachen, die viel verbessern würden.
Ich werfe den PC an und gucke im Internet. Und siehe da. Es gibt die Möglichkeit online einkaufen zu gehen - auch Lebensmittel, Drogerie- und Hygieneartikel. Ich entscheide mich für
Lebensmittel.de. Dort bekommt ich alles wie in einem großen Supermarkt.
Einige Wochen später:
Einmal in der Woche bestelle ich bei
Lebensmittel.de die wesentlichen Dinge, die wir brauchen. Das sind vor allem die großen, sperrigen und schweren Sachen, wie:
dafür in Ruhe ankomme. Weil wir nicht mehr dringend einkaufen müssen, ich nicht so gehetzt bin, reagiert Ben gelassener.
Er weiß, dass er mit mir reden und auch noch ein paar Minuten das Spiel beenden kann. Er zeigt mir, woran er gerade sitzt
und ich sehe meinen Sohn das erste Mal seit langem wieder bewusst an, erfreue mich an seinen tief-braunen Augen und dem
verschmitzten Blick.Autorin: Katarina Telschow