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Kinder und andere Monster

Es sind Monster! Ich schwöre Ihnen, es sind Monster! Im Körper meiner Kinder.
Ihre Gesichter verziehen sich zu Fratzen, während Ben und Sarah an jeweils einem Ende der Gummibärchentüte ziehen, die eigentlich dazu da war, die Autofahrt zu versüßen, sie entspannter für uns alle werden zu lassen. Dabei brüllt er, als wäre er ein Verhungernder, dem die letzte Nahrung gestohlen werden soll.

Sarah dagegen ist immerhin ruhig. Vermutlich weiß sie, dass sie die Schlacht gewinnen wird und genießt dieses Spiel wie eine Katze, die noch ein wenig die Maus quält. Währenddessen sickert der Apfelsaft aus der offenen, achtlos auf dem Boden liegenden Flasche in die Fußmatten.
Ich sehe mich wiedermal das Auto putzen und versuche gedanklich diesen neuen Termin in meinen Terminplan zu stopfen.
Jetzt beginnt Ben mit dem Mut der Verzweiflung nach seiner Schwester zu schlagen. Und nun wird auch die Katze laut.

Ich sagen Ihnen, es sind Monster! Sie sitzen in meinem Auto auf der Rücksitzbank, schreiend, mit verzerrten Gesichtern. Und sie sind ansteckend. Plötzlich werde auch ich zum Monster und brülle, dass die Scheiben klirren:
"RUHE!! IST JETZT ENDLICH MAL SCHLUSS!!!"
In meiner Stimme mischen sich der Frust, über das zu putzende Auto, die Ohnmacht, weil ich mich wieder nicht im Griff habe, obwohl ich doch eigentlich eine ganz liebe, stets entspannte Mutter sein wollte und die Angst vor dem, was jetzt kommt:
Ich weiß, dass Sarah für den Rest der Autofahrt beleidigt aus dem Fenster blicken wird. Ihr Gesicht ist ein einziger Vorwurf. Ben dagegen, der noch vor Schrecken ganz starr ist, wird gleich anfangen zu weinen. Und weil ich trotzdem vorn auf dem Fahrersitz sitze, ihn nicht trösten kann, mich ihm nicht zuwenden kann, wird er die ganze restliche Fahrt laut anklagend heulen. Sobald wir vor der Schule angekommen sind, wird Sarah aus dem noch fahrenden Auto springen und sich wortlos entfernen. Auch wenn ich noch so schnell hinterherspringe, kann ich sie nicht davon abhalten.
Wenn wir dann kurze Zeit später vor der Kita anhalten, werde ich meinen kleinen, untröstlichen Ben aus dem Auto tragen müssen. Eigentlich kann er schon laufen, aber dazu ist er jetzt einfach zu traurig. Ich werde mal wieder vor der Kita stehen, mit Sack und Tüten und einem heulenden Kind auf dem Arm. Ben wird sich nicht verabschieden wollen. Wenn wir uns so gestritten haben, hat er keine Lust auf Kindergarten. Er wird sich weigern, von meinem Arm zu gehen. Er wird keinen Blick für seine Erzieherin haben, die er sonst eigentlich gern mag. Er wird sich an mich klammern und mich anschauen mit diesen großen braunen vorwurfsvollen Augen, die sagen: Jetzt lässt Du mich auch noch allein. Du hast mich nicht lieb.
Doch ich muss zur Arbeit und habe keine Wahl. Und so werde ich mich losmachen und versuchen, es mit sanfter Gewalt zu tun, was nicht ganz einfach ist, weil Ben solche Sorgen nicht kennt. Er klammert sich mit aller Kraft, die er hat, an mich und das ist in solchen Momenten arg viel.

Und so stehe ich gefühlte Stunden später vor meinem Auto. Ich bin fix und fertig. Am liebsten würde ich mich hinsetzen und heulen. Aber ich muss zur Arbeit und so fahr ich los und hoffe, dass der Tag sonst ruhig wird.

Daran denke ich, als ich abends die schlafenden Kinder nochmal zudecke. Ich hab sie unheimlich lieb und jetzt sind ihre Gesichter so friedlich. Ben schnieft noch ein wenig, wir hatten auch beim Schlafengehen leichte Differenzen.
Ich liebe sie ganz unglaublich und mich überrollt eine Welle der Zärtlichkeit.
Und der Wut über mich selbst. Darüber, dass ich es scheinbar nicht hinbekomme eine gute Mutter zu sein, die in der Lage ist, den Tag ohne solche Ausfälle zu gestalten. Das muss doch zu schaffen sein!
Ich verlasse das Zimmer mit dieser Wut und nehme mir vor, alles zu ändern.
Mit einer Tasse Tee setze ich mich ans Fenster, schaue in die Dunkelheit und denke darüber nach, wann wir diese furchtbaren Aussetzer haben. Mir fällt auf, dass es die immer gleichen Situationen sind.
Das Auto ist oft ein Problem. Meist steigen wir ein und ich bin schon genervt von der Anzieherei zuvor:
Alles muss schnell gehen, oft fällt mir im letzten Moment noch was wichtiges ein. Sarah ist nie pünktlich fertig und auch für Ben ist irgendein Spiel wichtiger, als das Anziehen und Losgehen.
Damit dann wenigstens im Auto Ruhe ist, hab ich unendliche Vorräte an Süßigkeiten.

Eigentlich bin ich damit nicht glücklich. Gerade morgens - die Kinder haben gefrühstückt und gerade Ben ist so mäklig. Manchmal überkommt mich die Vermutung, dass er mehr zum Frühstück essen würde, wenn er nicht wüsste, dass es im Auto Gummibärchen gibt.
Und natürlich macht sich Sarah einen Spaß daraus, Ben zu ärgern.
Ich dagegen versuche mich auf den Verkehr zu konzentrieren und überlege, ob wir etwas vergessen haben. Meine Anspannung steigt weiter.

Wenn dann das Auto in Mitleidenschaft gezogen wird, weil sich die zwei mit den angelutschten Gummibärchen bewerfen, bin ich kurz vor dem Platzen. Wenn dann eines dieser Köstlichkeiten auch noch in meinem Haar landet, ist alles zu spät.

Das alles wird mir klar, während ich meinen Tee trinke. Und so beschließe ich, diesen Kreis zu durchbrechen.

Als erstes gehe ich zum Auto und hole alle Süßigkeiten heraus. Mir ist klar geworden, dass diese mich schon stressen, bevor die Kinder sie in die Hand bekommen. Ich will einfach nicht, dass am frühen Morgen so viel Süßes gegessen wird und noch weniger möchte ich, dass es im Auto auf dem Fußboden oder an den Fensterscheiben landet.
Außerdem werden alle süßen Getränke durch Wasser ersetzt. So wird nur getrunken, wenn jemand wirklich Durst hat und der Schaden ist nicht so groß, wenn es auf den Polstern landet.

Ich gehe gedanklich den morgigen Tag durch und packe schon jetzt alle Sachen ein, an die wir denken müssen und auf einem Zettel notiere ich alles, was besprochen werden muss.

Am nächsten Morgen informiere ich beim Frühstück beide Kinder von meinen Entschlüssen:

  1. Keine Süßigkeiten im Auto.
  2. Pünktliche Abfahrt um 7.
  3. Wenn Sarah nicht fertig ist, muss sie laufen.
  4. Wenn Ben nicht angezogen ist, kommt er so mit, wie er ist.

Fast bin ich beschwingt, weil ich mich so darauf freue, meinen Plan in die Tat umzusetzen. Ich freue mich auf meine erste entspannte Autofahrt, bei der ich mir zumindest um den Zustand des Wagens keine Gedanken machen muss.

Beide Kinder sind sprachlos. Sie schauen mich mit großen Augen an und glauben mir kein Wort.
Als Sarah kurz vor dem Losgehen verschwindet, um ganz wichtig ihre Wimpern zu richten, drohe ich kurz mit der Konsequenz, dass sie zur Schule laufen muss.

Ich schnappe mir Ben, der jedoch noch keine Schuhe an hat, weil er es vorzog zu spielen. Und so gehe ich, die am Vorabend gepackten Taschen in der einen und Ben ohne Schuhe an der anderen Hand. Als ich alles verstaue, kommt auch meine Tochter angerannt. Sie mault, weil sie es nicht mehr geschafft hat, ihre Wimpern zu tuschen und ich zucke nur ganz entspannt mit den Schultern.

Kaum sitzen wir im Auto, schon kommt die Frage nach den Gummibärchen. Ich halte das Auto nochmal an und öffne alle Schubladen, um beiden Kindern zu beweisen, dass wirklich keine Süßigkeiten im Auto sind.

Erst gibt es riesigen Protest. Immerhin: beide sind sich einig. Als ich darauf nicht eingehe, finden die Zwei andere Gründe sich zu ärgern. Natürlich wird es laut. Aber auch darauf bin ich vorbereitet. Ich hole aus meiner Handtasche ein Paar Oropax und stecke sie mir in die Ohren. Selbstverständlich ist mir klar, dass das im Straßenverkehr nicht die perfekte Lösung ist, aber Sie können sich gewiss sein, dass bei dem Lärm im Auto ich sowieso nicht höre, was draußen passiert.
Und so nehme ich den Krach wie durch eine dicke Wand wahr. Es ist viiiieeel angenehmer und ich lächel vor mich hin und kann mich gut auf den Verkehr konzentrieren. Während ich meine Gedanken schweifen lasse, stelle ich plötzlich fest, dass jeglicher Krach verstummt ist. Ich schaue durch den Rückspiegel auf die Rücksitzbank. Sarah ist dabei ihre Fingernägel zu polieren, Ben schaut interessiert zu oder nach draußen in die Gegend.
Alles sieht ganz entspannt aus.

Vorsichtig nehme ich die Ohrstöpsel heraus und genieße eine stressfreie Autofahrt.

An der Schule wartet Sarah diesmal bis das Auto vollständig hält und sie bekommt eine altersgerechte Verabschiedung auf die Reihe, soll heißen, sie dreht sich kurz um, um lässig die Hand zu heben.
Am Kindergarten steigt Ben selbstständig aus dem Auto. Er hat noch immer keine Schuhe an, aber die müsste er jetzt auch sowieso ausziehen. So geht alles ein bisschen schneller und wir haben noch Zeit eine Runde zu kuscheln.

Ich kann Ihnen verraten, dass es nicht immer so gut funktioniert.

Nicht immer hab ich die Taschen am Vorabend gepackt, nicht immer schaffe ich es, konsequent Ben bei der Hand zu nehmen, egal was er sich angezogen hat und viel zu oft, laufe ich Sarah doch hinterher, um sie zur Eile anzutreiben. Aber immer öfter fällt mir spätestens mitten im Ermahnen mein Plan ein. Ich gehe nochmal zu ihr hin, weise sie ruhig auf die Konsequenzen hin, drehe mich um und lasse sie damit allein.

Und mir scheint, je ruhiger ich das tue, je seltener diese Ermahnung wird, um so zuverlässiger wird Sarah. Und ja, sie musste bereits zu Fuß zur Schule laufen, weil sie nicht pünktlich am Auto war. Aber nur einmal.
Und ja, auch Ben hat sich schon nasse Füße geholt, weil er wiedermal das Schuheanziehen vergessen hatte und es regnete.
Sie haben es beide überlebt und wissen nun um die Folgen ihres Tuns.

Autor: Katarina Telschow

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